Texte & Gedanken

du

du bist ein weißes blatt
ich wage
den ersten strich
spitze den bleistift
für viele striche
für zeichen
für botschaften
für das erste date
investiere in die zukunft 
mit
einem roten faden

heiße den frühling willkommen

gib deinen augen
die chance
das kräftige sonnengelb
der löwenzahnblüten
zu entdecken
und tauche
den pinsel
in frisches grasgrün
heiße den frühling willkommen

plötzlich

plötzlich ist das gelb 
der löwenzahnblüten verschwunden
blütenstaub
setzt sich auf dem weißen fenstergesims ab.
plötzlich
verwische die spuren
kühler frühlingstage
beobachte
ein zitronenfalterpärchen
schließe 
die augen und 
lausche dem aufgeweckten
gezwitscher der vögel
da ist die welt noch
in ordnung
und auf meinem weißen blatt
liegt gelber blütenstaub.
plötzlich. 

11/2005
menschen.

geboren aus dem mutterschoß.
blutsauger.
im schatten des todes.
auf ein stück himmel
hoffend.
willkommen im jetzt
und in der ewigkeit.
menschen.

12/2010
als die kunst weiblich wurde.

als die kunst weiblich wurde
färbte sich die nacht rosa.

rote und pinke tulpen
wuchsen aus dem feuchten
boden.

wild und ungestüm.
kraftvoll.
neugierig.

verströmten eleganz.
anmut.
lebensfreude.
zuversicht.
stärke.
und -
einen ganz besonderen duft.

weiße schneerosen
konkurrierten mit dem goldenen sternenhimmel.

ein kühler windhauch
stöberte
zartrosa gefärbte schnee-
kristalle auf.
und -
in der krippe
lag ein mädchen.
damals:
als die kunst weiblich
wurde.

02/2017
applaus.
applaus.
applaus.

milchig isst der frühe morgen.
im fenster steht ein
tulpentopf.

raben kratzen in der
erde.

ideen raufen um die
wette.

tief in meinem kopf.

graben sich ein
und
dunsten aus.

applaus.
applaus.
applaus.

02/2017
ehrfürchtig.

ehrfürchtig
neigen sich die noch
jungen äste.

schneebedeckt.
der schöpfung dankend.
der heitere gesang
eines vogels
druchdringt den
schweren
modergeruch.

stillt meine sehnsucht
nach dem ICHSEINDÜRFEN.

eiszapfen hängen klamm
an dicken wurzelgebilden
und harren ihrer vergänglichkeit.
ehrfürchtig.

05/2018
das blatt papier

seit kurzem gehörst du mir.
zu mir.
du bist mein.
ein teil von mir.
habe dich in meiner
dunkelheit gesucht
und habe dich gefunden.
du hast dich
angeboten
mein kopfkino zu
ertragen. Du -
saugst nun die schwarze
tinte auf.
wässrige gebilde.
meine gedanken
hinterlassen spuren.
du – frisst unersättlich
die buchstaben in dich hinein.
formen, farben, linien
verschmelzen ineinander.
bilden zeitversetzte
richtigstellungen.
ungewollte definitionen.
kalkulierte aussagen.
du lässt es zu.
du lässt es geschehen.
du bietest mir nur
diese eine fläche
für heute
und für immer.
es gibt kein wiederholen.
kein umblättern.
du bist ein teil
von mir.
margret schiestl
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